Ich gehe zuerst in unser Zimmer, Katharina folgt mir und schließt die Tür. Ich lasse mich rücklings auf das Bett fallen. Katharina bleibt kurz neben mir stehen, dann bückt sie sich und zieht mir die Sandalen aus.
„Hör zu“, sagt sie dabei. „Ich weiß, wie sehr dich alles triggert. Und ich verstehe das auch. Es ist nicht so, dass mir alles egal wäre. Mir fehlt Helena. Aber immer, wenn es mich runterziehen will, wenn es dunkel wird, denke ich an unseren Traum. An unseren gemeinsamen Traum. Ich glaube fest daran, dass in diesem Traum nicht nur Kian, sondern auch all die anderen einen Platz haben.“
Ich hebe den Kopf und starre sie an. Sie hockt neben dem Bett, die Hände auf meine Knie gelegt und sieht mich an. Ihre Augen glänzen.
„Komm her“, flüstere ich.
Sie legt sich neben mich, streift die Schuhe ab und stützt den Kopf in die Hand. Die freie Hand legt sie zwischen meine Brüste, mit der Spitze des Zeigefingers berührt sie meinen Mund.
„Das glaube ich auch, Katharina.“
„Dann lass uns bitte nur darauf konzentrieren. Bitte.“
„Ist gut.“
Sie zieht erst mich, dann sich aus und dann kuscheln wir uns unter der Decke aneinander. Aus dem Nachbarzimmer höre ich noch eine Schießerei, dann etwas mit „Inspektor Heller“, bevor ich wegdrifte …
… und aufschrecke.
Das Licht brennt noch. Nicht das große, das haben wir gar nicht erst angemacht, nur die beiden Nachttischlampen. Katharina schläft mit dem Rücken zu mir, ihr Kopf liegt auf meinem linken Arm. Ich spüre ihren warmen Hintern an meinem Schoß.
Habe ich was geträumt? Ich weiß nur noch, dass ich regelrecht aus dem Schlaf gerissen wurde, doch wovon eigentlich? Nebenan ist es still, was mich nicht wundert, nachdem ich den Kopf hebe und einen Blick auf die Uhr auf Katharinas Nachtschränkchen erhasche: halb drei.
Sonst ist nicht viel zu hören. Jemand bewegt sich durch die Küche. Vielleicht Sarah, um zu naschen? Oder Loiker, um ihr was zum Naschen zu bringen? Ich bin immer noch irritiert, dass die beiden zueinander gefunden haben. Eine Zeit lang dachte ich echt, Ona würde ihn rumkriegen. Auch wenn ich sie für zu jung halte, aber letztlich ist sie geistig bedeutend weiter als 15-Jährige in meiner Heimatwelt. Kein Wunder bei dem, was sie schon erlebt hat.
Plötzlich poltert etwas. Warum macht sie oder er kein Licht an? Sollen etwa alle wach werden?
Dann ein unterdrückter Schrei.
Verdammt, irgendetwas stimmt hier nicht. Das ist keine Nachtwanderung zum Kühlschrank. Zumal es wieder poltert, als würde jemand auf den Boden fallen.
Auch Katharina wird jetzt wach, hebt den Kopf und sieht mich schlaftrunken an.
„Was ist das denn für ein Lärm?“
Statt einer Antwort ziehe ich meinen Arm unter ihr hervor und springe aus dem Bett, zumal ich höre, dass auch andere aktiv werden. Ich streife das Kleid über und packe meine Pistole. Vor der Tür begegne ich Ona, die ein T-Shirt trägt. Und ihre Pistole.
„Das kam von nebenan“, sagt sie.
Ich nicke, während auch Katharina wach wird. Ona und ich stürmen aus dem Appartement, durch die gemeinsame Küche und in das andere Appartement. Dessen Tür offensteht.
In der Tür des Zimmers von Thomas und Lea steht Letztere in einem Nachthemd und zeigt auf die andere Schlafzimmertür. Diese ist ebenfalls offen und ein fremder Mann stolpert gerade raus, mit einem Messer in der Hand. Thomas folgt ihm, mit einer Nachttischlampe bewaffnet.
Der Fremde sieht uns nicht, er steht mit dem Rücken zu uns. Ich springe vor und schlage den Pistolengriff gegen seinen Kopf. Ich treffe richtig, er fällt wie vom Blitz getroffen um.
Thomas fährt herum und stürmt wieder in das Schlafzimmer, bleibt dann aber stehen.
„Alles okay“, sagt er, an mich gewandt.
Ich folge ihm, hinter mir Ona und Katharina. Im Zimmer sind noch zwei weitere Fremde, beide etwas ramponiert. Auf einem sitzt die nackte Sarah und hält seinen Arm auf den Rücken gedreht. In einem sehr ungesund wirkenden Winkel. Das könnte für die seltsame Apathie des Kerls ursächlich verantwortlich sein. Vielleicht aber auch die Wunde an der Schläfe.
Der andere liegt vor dem etwas in Mitleidenschaft gezogenen Kleiderschrank. Loiker, ebenfalls nackt, kauert neben ihm und durchsucht ihn. Er befördert eine Pistole zum Vorschein. Ein Messer liegt bereits auf dem Boden, es könnte sein, dass es sich bis vor Kurzem noch in der offensichtlich gebrochenen Hand des Mannes befunden hat.
„Was zum Teufel ist hier denn los?“, erkundige ich mich.
„Jemand hat versucht, Loiker zu entführen“, erklärt Sarah.
„Loiker entführen?“ Ich wirke vermutlich nicht sehr intelligent. In dem hastig übergestreiften Kleid und mit der Pistole in der Hand sowieso nicht. Aber am schlimmsten ist meine überflüssige Frage.
„Anscheinend haben wir jemanden nervös gemacht“, bemerkt Katharina. Sie trägt auch ein T-Shirt, wie Ona. Und natürlich ihre Pistole. Bewundernswert, wie gut unser innerer Alarm funktioniert. Die Waffe war allen wichtiger als die Kleidung. Okay, Loiker und Sarah hatten vermutlich gar nicht erst die Wahl.
Loiker zieht jetzt Jeans an, was Ona einen bedauernden „Oh“ entlockt, Thomas löst Sarah ab, damit diese sich auch etwas anziehen kann. Erst ein T-Shirt, das aber eindeutig zu kurz ist, also nimmt sie einen Schlüpfer hinzu.
Dabei muss ich unwillkürlich daran denken, dass nur Ona sie nicht nackt kennt. Und so.
Scheiße. Daran will ich jetzt grad überhaupt nicht denken.
Um mich abzulenken, gehe ich nach draußen. Jemand muss außerdem die Polizei in Empfang nehmen, und ich habe noch die vollständigste Kleidung.
Welche Polizei?
Himmlisch, diese Ruhe. Hm. Ich gehe nochmal rein, um meine Zigaretten zu holen. Katharina gesellt sich zu mir. Sie sieht verwirrt aus.
„Finde den Fehler“, sagt sie.
„Die Leute hier haben anscheinend einen gesunden Schlaf“, erwidere ich.
„Unglaublich gesund.“ Sie zeigt auf das Hauptgebäude, dessen Eingang sich in der Nähe befindet. „Das kann der Empfang nicht überhört haben.“
„Was sagt uns das?“
„Das wir uns mit dem Empfangschef unterhalten sollten.“
Ich nicke und zünde zwei Zigaretten an. Eine gebe ich ihr. Sie zögert nur kurz, bevor sie sie nimmt.
„Ich weiß nicht“, sage ich. „Irgendwas ist hier extrem faul.“
„Wie Schwefel.“
Ich muss kurz lachen. Gerade sie redet von Schwefel, wenn es um Faules geht? Okay, gerade sie. Trotzdem witzig.
„Also, unsere Jungs hören sich, mehr oder weniger unauffällig, in einer Schwulenbar herum, daraufhin sollen sie entführt werden.“
„Beide?“
Ich zucke die Achseln. „Vielleicht auch nur einer, um herauszufinden, was sie wollen. Sorry, drei Männer klettern in ein Appartement? In dem vier Leute schlafen? Was sagt uns das?“
„Dass sie sich relativ wenig Sorgen über Konsequenzen machen. Wie die Mafia.“
„Genau. In was für eine Scheiße sind wir da schon wieder geraten?“
„In die übliche. Ich meine, es war ja klar, dass es nicht so einfach sein kann, hast du ja selbst gesagt.“
Ich mustere sie. „Hätte ich es bloß nicht gesagt. Ich habe keine Lust, mich mit der Mafia anzulegen. Nicht in diesem Zustand. Wenn es ganz schlimm kommt, erinnern sich einige an mich.“
„Du bist denen auf die Füße getreten?“
„Nur ganz sanft. Sie haben meistens nicht das Gleichgewicht gestört, jedenfalls nicht das, um das ich mich kümmern sollte. Hi, Thomas. Willst du auch eine Zigarette?“
„Kommt mit“, erwidert er.
Oh, oh. Nicht gut. Vielleicht will ich doch lieber die Mafia haben.
Er führt uns zu dem Entführer, der mit gebrochenem Arm auf dem Bett liegt. Sarah sitzt neben ihm, als wir reinkommen, zieht sie seine Lippen auseinander.
„Verdammte Scheiße!“, entfährt es mir, als ich die Vampirzähne sehe. „Ich denke, hier gibt es keine Magie!“
„Gibt es auch nicht“, erklärt Thomas. „Er ist vorhin an einem Herzinfarkt gestorben. Unabhängig davon war er ein Vampir, ich kann das Blut riechen. Aus seinem Maul. Die anderen beiden übrigens auch. Vampire ohne besondere Kräfte.“
„Das ist ja wie ein schlechter Witz“, sagt Katharina.