Leseprobe: Fiona – Todesstille (Kristallwelten-Saga 12)

Darauf antworte ich lieber nicht. Stattdessen erhebe ich mich. Katharina folgt mir, die Anderen bleiben sitzen. Margret nimmt meinen Platz ein, ich höre aber nicht mehr, was sie sagt, denn wir treten in die Hütte des Geheimen Zauberers ein.
Er sitzt am Tisch, auf dem zwei dampfende Tassen stehen. Als er Katharina sieht, zieht er eine Augenbraue hoch und will aufstehen, doch ich bin schneller, indem ich eine dritte Tasse auf den Tisch schweben lasse, mit Kräutern fülle, und bis wir am Tisch ankommen, dampft auch darin schon der Tee.
„Geil“, sagt Katharina.
Der Geheime Zauberer sagt nichts. Er beobachtet uns, während wir uns hinsetzen. Vor allem beobachtet er Katharina. Mir ist nur nicht ganz klar, ob als Zauberer oder als Mann. Hat er mich auch so angesehen beim ersten Mal? Zugegebenermaßen weiß ich es nicht mehr, ich war damals viel zu abgelenkt von den vielen neuen Eindrücken und der Erleichterung darüber, dass es Kian gut ging.
Klar, es gibt ja auch was zu sehen. Auch wenn der Kampfanzug die Figur verbirgt, ist schon Katharinas Gesicht ein Blickfang.
Sie erwidert seinen Blick ohne jede Scheu.
„Es freut mich, dass die gewohnten Zeremonien noch lebendig sind“, bemerke ich. „Es gibt Traditionen, die sollten nie vergessen werden.“
„Das sehe ich auch so, Kyo“, erwidert er, sich an mich wendend. „Weder Traditionen noch Freunde sollten vergessen werden.“
„Ach, komm schon, erst die Elfen, jetzt du? Was, wenn ich dir sage, dass die Zeit seit meinem Fortgang einfach sehr hart für mich war?“
„Zumindest deine Haare haben darunter gelitten.“
„Haha. Sie wachsen nach, keine Sorge.“
„Ich mache mir keine Sorgen.“ Er nippt an seinem Tee. „Schön, dass du wieder da bist. Stellst du mir deine Begleiterin vor?“
„Na klar. Das ist Katharina, die ich liebe.“
Er mustert sie kurz. „Ihr macht den Eindruck, als würdet ihr euch schon sehr lange kennen.“
„Das ist richtig. Nachdem ich mich wieder an alles erinnern konnte, habe ich sie gesucht und gefunden. Sie ist übrigens noch viel älter als du.“
Jetzt rutschen seine Augenbrauen doch wieder hoch.
„Wie alt ist er denn?“, erkundigt sich Katharina.
„Nach unserer Zeitrechnung etwa 230 Jahre, also etwas mehr als halb so alt wie du.“
„Du hast dich besser gehalten als ich, scheint mir“, sagt der Geheime Zauberer.
„Danke.“ Katharina lächelt ansatzweise. „Der Schein könnte trügen.“
„Das ist oft so“, nickt er. „Königin Kyo ist Meisterin im trügerischen Schein.“
„Ich?!“
Katharinas Grinsen ignoriere ich lieber.
„Ich denke, du weißt, was ich meine und dass ich recht habe. Doch wie dem auch sei, ich gehe davon aus, dass du nicht nur aus Sehnsucht nach einem alten Mann hier bist.“
„Das ist nur teilweise richtig. Du weißt, dass ich dich wirklich mag. Ich wollte dich auf jeden Fall besuchen. Du hast aber recht, es gibt auch einen weiteren Grund. Ich hoffe, dass du uns erzählen wirst, wie wir auf die Insel Elva kommen.“
Seine Gesichtszüge entgleisen ihm kurz. „Was willst du denn dort?!“
„Mit dem Ersten Zauberer reden.“
„Hm.“ Er nippt gemächlich an seinem Tee, was wir auch tun. „Ich kann mir keinen Grund vorstellen, warum ihr das tun wollen würdet, außer … außer Gamon spielt wieder ein böses Spiel.“
„Tut er.“
„Was willst du denn, dass er Derartiges verlangt? Ich nehme an, es geht um die Gerüchte, dass der Erste Zauberer das Ewige Licht löschen möchte. Du nickst. Also schön. Und was verlangst du so Unverschämtes, dass du sogar bereit bist, dieses unmögliche Unterfangen zu versuchen?“
„Mach du mir nur Mut. Wir brauchen Visz. Viel Visz.“
Er lehnt sich zurück und starrt mich an. „Seit wann bittest du deswegen um Erlaubnis?“
Katharina lacht auf. „Touché.“
„Halt die Klappe. Da draußen sind noch sechs weitere Leute. Keine gewöhnlichen Menschen, aber auch unsere Macht ist begrenzt. Wir können und wollen keinen Krieg mit dem Zaubererbund. Von Kriegen hatten wir in letzter Zeit mehr als genug. Es wird noch herausfordernd genug, den Transport des Visz´ zu organisieren.“
„Wieso?“
„Erstens, weil wir viel brauchen. Und zweitens müssen wir es in unsere Welt schaffen, das bedeutet mehrere Nums zu reisen und dann noch die Grenze zur anderen Welt zu überqueren, jenseits der Zeitmacher.“
„Ich muss gestehen, zum ersten Mal seitdem ich dich kenne, habe ich das Gefühl, nicht alles zu verstehen, was du sagst.“
„Kann passieren“, bestätigt Katharina.
„Hallo?!“
Sie beugt sich plötzlich vor und küsst mich wild. „Deswegen liebe ich dich doch.“
„Du bist auch echt ganz schön seltsam, weißt du das?“
Der Geheime Zauberer räuspert sich und sie lehnt sich wieder zurück. Sie wirkt irgendwie zufrieden. Echt witzig.
„Nun, ich kann euch den Weg beschreiben. Aber es ist nicht leicht, zum Ersten Zauberer vorzudringen.“
„Das hat Nuoka auch bereits angedeutet.“
„Er hat wahrscheinlich ein wenig übertrieben, da ihm nicht wirklich klar ist, über welche Macht du verfügst, Kyo. Wie lautet eigentlich dein richtiger Name?“
„Das weißt du doch.“
„Ich? Woher sollte ich das wissen?“
„Keine Ahnung, aber du hast ihn einmal genannt.“
„Daran erinnere ich mich nicht.“
„Du hast ihn genannt, als ich fragte, ob man die Muonen nicht ausleihen könnte. Du hast dann gesagt, ‚Mensch, Fiona, Muonen kann man doch nicht ausleihen!‘.“
„Dein Name ist Fiona?“
„Yep!“
„Es ist völlig ausgeschlossen, dass ich diesen Namen genannt habe.“
„Ich verstehe es auch nicht, aber ich kann mich sehr gut daran erinnern.“
„Hm.“ Er sieht nachdenklich aus, dann schüttelt er den Kopf.
Ist ja auch egal. Ein Mysterium mehr oder weniger, das spielt wirklich keine Rolle. Glaube ich. Hoffe ich. Vielleicht war es wirklich ein Zufall. Oder er hat telepathisch etwas von meinen selbst vor mir verborgenen Gedanken aufgefangen. Wer weiß das schon, was alles in meinem Kopf vorgeht, wovon ich überhaupt keine Ahnung habe.
Dann werden wir abgelenkt, denn draußen entsteht plötzlich Unruhe. Erst hören wir Schreie, dann plötzlich Michaels Stimme.
„Halt! Sie gehören zu uns!“
Nanu? Was zum Teufel …? Katharina und ich sehen uns an, dann springen wir beide auf und laufen zur Tür.
Wo wir dann beide wie erstarrt stehen bleiben.
Sarah und Senaa werden von Elfen umringt und Michael wirft gerade einige Elfen zur Seite, als wären sie Kegelfiguren.
„Äh …“, ist alles, was ich sagen kann.
„Das … ist etwas überraschend.“ Katharina hat sich etwas besser im Griff.
Dann gehen wir zu der Gruppe und ich stelle mich vor Sarah und Senaa.
„Sie gehören tatsächlich auch zu uns, also beruhigt euch bitte.“ Nach einem kurzen Blick auf die beiden. „Ich glaube, sie können etwas Wasser vertragen.“
Die Elfen entspannen sich tatsächlich und die beiden dürfen sich setzen. Jemand bringt ihnen Wasser zu trinken. Sie leeren die Becher gierig.
„Und jetzt erklärt bitte, was zum Teufel ihr hier treibt“, sage ich.
„Wir haben euch gesucht, um euch zu warnen“, antwortet Senaa.
„Wovor?!“
„Vor dem Wächter, der möglicherweise hier irgendwo ist.“
„Vor dem …“ Ich lasse mich auf eine Bank sinken. „Wächter? Hier?“
„Wir wissen es nicht genau, wir haben nur gesehen, dass einer der beiden hinter euch in den Ewigen Turm ging und nicht wieder rauskam“, erklärt Sarah.
„Fuck!“, entfährt es Margret.
„Hey!“
„Was? Manchmal ist auch dafür die richtige Zeit.“
Ich atme tief durch. Das sind ein bisschen zu viele Überraschungen auf einmal. Die Gesichter meiner Freunde sagen das auch.
„Kaum bist du da, wird es schon wieder aufregend“, stellt der Geheime Zauberer fest.
„Sei bloß still. Ich will das ja gar nicht!“
„Das sagst du immer.“
„Wer ist das denn?“, erkundigt sich Ona. „Er ist ja größer als unser Nilsson!“
Der Geheime Zauberer sieht sie stirnrunzelnd an.
„Was? Mich beeindruckt dieser Blick nicht, ich hatte oft Gelegenheit, mich daran zu gewöhnen.“
Jetzt grinst der Zauberer tatsächlich. Er steht wohl auf junge Mädchen, die frech sind. Für ihn bin ich ja auch nichts anderes.
„Das ist ja herzzerreißend“, stelle ich fest. „Aber wir haben ein echtes Problem, wenn sich der Wächter hier herumtreibt.“
„Aber sicher ist es nicht“, meint Oela.
„Oh, heute mal nicht so negativ?“, sagt Michael und springt zurück, als sie nach ihm schlägt. Nicht wirklich ernsthaft, aber durchaus einkalkulierend, ihn hart zu treffen.
„Kindergarten“, sagt Katharina.
Ich beuge mich im Sitzen vor, die Arme auf den Oberschenkeln und die Hände verschränkt. Eine für mich so ungewohnte Haltung, dass Katharina sich neben mich setzt und besorgt fragt, ob mir schlecht wäre.
„Du meinst, wegen …? Nein, alles in Ordnung.“
„Bist du schwanger?“, fragt Nuoka.
Wow. Aus so einer Frage erkennt er das? Das beeindruckt mich jetzt.
Ich nicke.
„Und wer ist der Vater?“, erkundigt sich der Geheime Zauberer mit der von ihm gewohnten Feinfühligkeit.
„Niemand. Bedeutungslos. Können wir dieses Thema jetzt nicht vertiefen? Mir macht der Wächter Sorgen.“
„Wieso?“, fragt der Elf.
„Weil ich nicht einschätzen kann, welche Kräfte er hier noch hat. Ich kann ihn eigentlich überhaupt nicht einschätzen. Und ganz besonders, weil er nicht hier sein dürfte. Ich verstehe nicht, wie das möglich ist.“
„Was bewacht er eigentlich?“, fragt der Geheime Zauberer. Er setzt sich neben Katharina. „Wenn ich es richtig verstanden habe, ist er weder aus der Drehwelt noch aus der Menschenwelt. Dass es noch weitere Welten geben könnte, vermuten die Zauberer schon lange, doch wir haben keine Zugang zu ihnen gefunden, sodass es dann hieß, sie seien nur eine Legende. Anscheinend sind sie es doch nicht.“
„Du hast recht, doch der Wächter kommt aus einer Welt, zu der es für euch keinen Zugang geben kann. Es ist meine ursprüngliche Heimat, in der ich dringend das Visz benötige.“
„Du willst also nicht darüber reden“, stellt der Geheime Zauberer fest. „In Ordnung. Was können wir tun, wenn der Wächter hier erscheinen sollte?“
„Eine gute Frage“, erwidert Sarah. „Vielleicht beten.“
„Beten? Ist er ein Gott, ist er wie Elixa?“ Der Geheime Zauberer sieht Sarah an, wie er vorhin Katharina anschaute. Hallo?
Sarah zuckt die Achseln. „Wohl eher nicht, aber wir wissen es nicht genau. Die Einzige, die schon näheren Kontakt mit einem von ihnen hatte, ist unser Schätzchen, und er hat sie geplättet.“
„Geplättet?“
„Er ist ziemlich groß und ziemlich schwer“, erwidere ich. „Wie du ja weißt, bin ich unsterblich, sonst säße ich nicht hier.“
„Und dieser Wächter ist jetzt hier?“
„Der garantiert nicht. Der ist tot. Deswegen ist er ja auf mich gefallen.“
„Müssen wir denn auch zu dir beten, Kyo?“, fragt Nuoka. In seinen Augen blitzt es kurz schalkhaft.
„Tut, was ihr nicht lassen könnt. Schau mal.“ Ich strecke beide Hände aus und lasse kleine Flammen aus ihnen züngeln. Selbst der Zauberer wirkt beeindruckt, das will schon was heißen. Ich lasse die Flammen empor steigen und eine zum Geheimen Zauberer und die andere zu Nuoka schweben.
Nuoka greift danach und schreit auf. „Das ist ja heiß!“
„Natürlich. Was hast du denn gedacht?“
„Aber du hast die Flammen auch berührt!“ Er sieht Margret strafend an, die ihr Lachen nicht ganz so gut unterdrücken kann wie Oela neben ihr.
„Das ist magisches Feuer, viel vernichtender als gewöhnliches Feuer. Damit habe ich einen Wächter töten können. Ansonsten haben wir noch nichts gefunden, was wirklich gegen sie hilft.“
„Dann bleibst du hier, bis der Wächter wieder geht!“, ruft einer der Elfen.
„Haha. Ich glaube nicht, dass er euch was tut, wenn ihr ihn nicht reizt.“
„Wir wissen nicht, warum er hier ist“, bemerkt Nidea.
„Wenn er überhaupt hier ist“, erwidert Ona. „Sicher, vielleicht folgt er uns, vielleicht genießt er aber auch nur seine neu entdeckte Freiheit.“
„Genau, er hatte keine Lust mehr auf seinen langweiligen Job“, meint Margret. „Ja, nee, alles klar.“
„Warum sollte ein Wächter nicht auch mal die Schnauze voll von seinem öden Job haben?“
„Kindergarten“, wiederholt Katharina. „Ist doch völlig egal. Wir müssen aufmerksam bleiben und weitermachen. Es wäre illusorisch zu glauben, wir könnten ihn hier suchen und finden. Außer, er will gefunden werden. Dann kommt er sowieso zu uns.“
„Ihr könntet aber hier bleiben und euch ausruhen“, schlägt Nuoka vor. „Die beiden erwecken den Eindruck, als könnten sie es gut gebrauchen.“ Er deutet auf Sarah und Senaa.
Ich sehe die beiden nachdenklich an. Da sie jetzt hier sind, können sie uns auch begleiten. Zumal es vielleicht nicht schlecht ist, wenn wir bei unserem Besuch des Ersten Zauberers Verstärkung haben.
Nach einem kurzen Blickkontakt mit den anderen Gefährten nicke ich also. Irgendwie schon witzig. Ich habe fast fünf Jahre in dieser Welt gelebt und verbringe jetzt zum ersten Mal eine Nacht als Gast der Elfen. Okay, es ist keine Nacht, hier wird es ja nie dunkel. Aber unserem inneren Rhythmus nach ist es bald Nacht.
„Ihr beide könnt in meinem bescheiden Zuhause schlafen“, schlägt der Geheime Zauberer vor.
Obwohl ich mir über seine Motivation nicht ganz im Klaren bin, willigen wir ein. Die Anderen werden auf mehrere Hütten verteilt. Margret und Ona bestehen darauf, zusammen zu bleiben.
Sieh mal einer an.
Katharina bemerkt meinen Blick, legt ihre Arme um mich und flüstert mir ins Ohr: „Du hast viele Töchter, mein Schatz.“
Hm. Ja, vielleicht hat sie sogar recht. Ich wollte ja viele Kinder. Na ja, nicht immer. Ach, scheiß drauf. Auch ich darf eine romantische Seele haben. Meist ist sie ja eh unauffindbar tief in mir versteckt.
Uns zu Ehren und auch einfach so veranstalten die Elfen ein Fest, bei dem viel ihres speziellen Weins fließt. Wohl dem, der unsterblich ist und nicht sehr lange an den Kopfschmerzen leiden muss.