Emel Zeynelabidin

Einführung aus “Erwachsen wird man nur im Diesseits”:

Vor sieben Jahren haben meine Locken das Licht der Welt erblickt, haben meine Seelenflügel sich entfaltet und mein Geist hat begonnen zu atmen.

Anfangs kam ich mir ohne mein Kopftuch tatsächlich etwas entblößt vor, obwohl es für die Frauen der westlichen Gesellschaften eine Selbstverständlichkeit ist, die Haare offen zu tragen. Schlimm an diesem Gefühl des Entblößtseins finde ich, dass es nicht natürlich ist, dass man sich „entblößt“ vorkommt, wenn man seine Haare in der Öffentlichkeit zeigt. Ich lebte also die drei Jahrzehnte meiner Verhüllung unbewusst mit einem nicht natürlichen Schamgefühl.

Ich komme aus dem Schoß des muslimischen Gemeindelebens, dessen Begründer in Deutschland mein Vater in den siebziger Jahren war. Mein Gemeindeleben war jahrzehntelang ein wichtiger Teil meines Alltags gewesen und prägte mein Identitätsbewusstsein. Der Dienst an Menschen der eigenen Gemeinde war für mich so selbstverständlich, dass ich keine eigenen Interessen verfolgte. Meine Familie, mein Studium der Anglistik und Islamwissenschaften, und mein Freundeskreis waren eng mit dieser Gemeinde verwoben. Unser religiös geprägtes, kollektives Denken und die soziale Kontrolle, die die festgelegten religiösen Regeln und Rituale ermöglichen, störten mich dabei keineswegs. Denn das alles war zu einer Gewohnheit geworden, in der ich mich zuhause fühlte. Ich hatte dabei als praktizierende Muslimin, rückblickend, ein einfaches und sicheres Leben. Einfach vor allem deshalb, weil ich über meine Lebensumstände nicht viel nachdenken musste. Ich war materiell gut versorgt, genoss Respekt und Anerkennung und war ein funktionierendes Gemeindemitglied. Deshalb hatte ich keine Auseinandersetzungen zu befürchten, die mein Selbstverständnis hätten erschüttern können. Wir sprachen alle dieselbe Sprache.

Ich bin nun 52 Jahre alt und hole viele Erfahrungen sowie persönliche Lebenswünsche als „Unverhüllte“ nach. Erfahrungen, die etwas zu tun haben mit dem Erwachsenwerden und dies besonders in meiner Rolle als Frau. Mit zwölf Jahren bekam ich meine 1. Mensis und sollte dann gemäß den religiösen Empfehlungen meine weiblichen Reize mit dem Kopftuch bedecken, Reize, die ich damals aber noch gar nicht kannte. Denn es hieß, Gott bestimme mit Seinen Erlaubnissen und Verboten wie ich mich kleiden und mit dem anderen Geschlecht kommunizieren solle. Mit der ersten Regelblutung war ich von einem Moment zum anderen eine muslimische Frau geworden. Als Jugendliche konnte ich die Welt der Männer nur durch die Augen meiner Mutter sehen. Für meine Mutter war es eine Frage des Anstands, keine Freundschaften mit Jungs zu haben. Auch jeglicher Körperkontakt mit ihnen war mir nicht erlaubt. Mein damaliges Leben zeichnetete sich durch gedanklich kontrollierte Geschlechtertrennung aus, was mich bis in mein Innerstes tief geprägt hat. Die menschliche und vielfältige Gefühls- und Gedankenwelt von Männern, vor denen ich mich mit meiner Verhüllung schützen sollte, blieb mir deshalb weitgehend verschlossen. Meine uniformartigen, reizneutralen und den ganzen Körper rundum verhüllenden Gewänder entwickelten sich mit der Zeit zu einem festen Bestandteil meines Alltags und dienten als praktischer Distanzhalter zum anderen Geschlecht. Was war das für ein fataler Irrtum, der sich auf meine Entwicklung auswirken musste!

Erwachsen wird man nur im Diesseits