Sylvia Schöningh-Taylor

Sylvia Schöningh-Taylor

„Wenn Du das, was in Dir ist, hervorbringst, wird Dich das, was in Dir ist, erlösen.
Wenn Du das, was in Dir ist,nicht hervorbringst, wird Dich das, was in Dir ist, zerstören.“

Diese Worte aus dem Thomas-Evangelium scheinen als Sub-Text mein Leben zu bestimmen. Als spirituell hoch begabtes Kind nahm ich die Welt hinter den Erscheinungen schon sehr früh wahr, ohne jedoch die Möglichkeit zu besitzen, meine Erfahrungen mit irgendjemandem zu teilen. Intuitiv ahnend, dass mich die Unterdrückung meines Wissens umbringen würde, begann ich schon damals zu tanzen, zu singen, Theater-Stücke aufzuführen und zu schreiben. Da sich diese größere Wirklichkeit hinter den Dingen jedoch durch die sinnliche Erfahrung offenbarte, sollte alles, was ich sang, schrieb, spielte und tanzte, einen Geschmack des Wunderbaren haben, den ich in der Welt der Erscheinungen wahrnahm. Ganz unbewusst hatte ich den Schatz entdeckt, der mir in von meinem Schöpfer in die Wiege gelegt worden war, meine Kreativität. Dieselbe konnte ich jedoch in jedem anderen auch spüren, allerdings schmerzlich eingeschnürt durch die dumpfen Verhaltensmuster der Fünfziger Jahre, in denen die Menschen in Deutschland traumatisiert und stumm durch den Alltag wankten. Die andere Seite meiner gesteigerten Wahrnehmung war also eine dunkle und ich ahnte schon früh, dass im Leben Licht und Schatten zusammengehören. Und dass es viel Mut kostet, es dennoch als wunderbar zu umarmen.
Ich sage also Ja zum Leben in seiner ambivalenten Ganzheit. Jedoch um das Ja zu seinen Schatten habe ich ein Leben lang gerungen – schreibend. Genügend Abgründe hat das Leben mir bereitet und mir offensichtlich zugetraut, dass ich sie durch kreativen Ausdruck erlöse, damit mehr Licht in diese Welt komme. Viele Wege habe ich beschritten, um frei zu werden von den dunklen Schatten der menschlichen Existenz. In jungen Jahren handelte ich mir aufgrund der Herausgabe einer radikalen Studentenzeitschrift zunächst ein Berufsverbot ein. Als glühende Antifaschistin bemühte ich mich, meinen Schülern die Fertigkeiten des demokratischen Diskurses zu vermitteln. Als Theaterpädagogin ging ich nach London, um Straßen- und Kinder-Theater zu machen und meine Tochter und meinen Sohn im Geist der Menschenliebe zu erziehen. Durch meine Kompromisslosigkeit verlor ich die Kinder und meine Heimat und lernte auch das als ein Geschenk des Himmels zu akzeptieren. Denn leidenschaftliche Liebe zum Leben und die Macht der Vergebung KÖNNEN Berge versetzen. Ich setzte mir die Clown-Nase auf und lache gern herzlich über die Absurditäten der menschlichen Existenz. Und halte es mit Goethe, der sagte: Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man etwas Schönes bauen.
Dichtung ist für mich immer auf Erkenntnis aus. Sie will das Leben in seinem Zittern zwischen Ekstase und Schmerz durch metaphorischen Ausdruck durchdringen, um es mit anderen zu teilen. Denn wir sind zur Verbindung geboren und Trennung eine Illusion. Während wissenschaftliche Begriffe eindeutig sein müssen, muss die poetische Metapher schillern, weil das Leben selbst in jedem Augenblick oszilliert mit Bedeutungen. Das ist kein Freibrief für Beliebigkeit des sprachlichen Ausdrucks. Der Poet muss sich im Unerforschten aufhalten, in einem Sprachgebiet, das noch nicht abgegrast ist. Sonst ist er langweilig und wird nicht gelesen. Es geht um Authentizität der eigenen Stimme, sonst geht sie unter in den Milliarden Stimmen, die den globalen Äther durchschwätzen.

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